Vier Tage Buchenwald – ein Erlebnisbericht von Emilie Rohé
Ich hatte erwartet, dass sich meine und die Stimmung des gesamten Kurses schlagartig ändern würden, wenn wir in Buchenwald ankämen. Ich hatte erwartet, dass man von der Wucht des Ortes irgendwie überwältigt wäre. Als wir jedoch mit dem Bus Buchenwald erreichten, stand man zunächst auf einem ganz normalen Parkplatz, der gesamte Ort wirkte wie jeder andere. Unsere Jugendherberge, welche die früheren Kaserne der NS-Offiziere war, stand in einem Halbkreis um diesen Parkplatz und glich den uns bekannten von anderen Klassenfahrten. Auch die ersten Blicke auf das umliegende Grundstück wirkte nicht wie ein Ort der Verzweiflung und Grausamkeit, welcher er einmal gewesen war. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Aber nicht ein derart normales Umfeld. Trotzdem blieb ein leicht unwohles Gefühl im Magen zurück.
Wir bekamen schnell unsere Zimmer zugewiesen und trafen uns später zu der ersten Besprechung, beziehungsweise Kennlernstunde, mit unserem Guide. Zunächst sollte jeder seine bisherigen Kenntnisse oder auch Erfahrungen zu Buchenwald, dem Thema Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg erzählen. Auch unsere Vorstellungen von dieser Fahrt sowie unsere Ängste und Hoffnungen sollten wir darstellen. Oft kam das Thema auf, dass viele von uns die Befürchtung hatten, dass dieser Ort und die hier stattgefundenen Geschehnisse uns überfordern könnten. Dass man selbst die Ereignisse Buchenwalds nicht gut verarbeiten könne, da sie uns zu sehr beschäftigten und belasteten. Im Gegenzug bestand die Hoffnung, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, um diese Zeit besser zu verstehen. Jedoch realisierte ich immer noch nicht ganz, wo ich mich gerade befand. Der Gemeinschaftsraum glich einem Klassenraum und generell fühlte es sich so an, als seien wir in der Schule und würden das Thema Nationalsozialismus behandeln. Das änderte sich zum ersten Mal, als wir uns in einem kleinen Kinosaal einen kurzen Film über Buchenwald anschauten. Dauernd kursierte die Tatsache in meinem Kopf, dass diese ganzen Bilder und Taten, die in dem Film zu sehen waren, hier passiert waren. Doch vorstellen konnte ich es mir immer noch nicht richtig, vielleicht wollte ich es auch nicht.
Nach dem Film startete unser erster Teil des Rundgangs. Das Wetter war nicht ganz auf unserer Seite und so begannen viele nach kürzester Zeit zu frieren und wir versuchten, uns viel zu bewegen und relativ schnell voranzukommen. Der erste interessante Ort waren für mich die Eisenbahnschienen. Es waren teils nur noch einzelnen Schienen zu erkennen, doch trotzdem spielte sich in meinem Kopf sofort ein Film ab, wie die Menschen hier ankamen und brutal weiter gehetzt wurden.
Das Modell des Lagers
Unser letzter Ort an diesem Tag war das Eingangstor zum Hauptlager. Sofort stach einem der Schriftzug ins Auge, welcher in die Eingangstür eingefasst ist. Umringt von fast schnörkelhaftem Metall stand in weißer Schrift „Jedem das Seine.“ Das Besondere: Der Schriftzug ist nur von innen zu lesen und war an die Häftlinge gerichtet. Dieser Satz steht für mich ab diesem Zeitpunkt für Buchenwald. Er wirkte so klein und hatte trotzdem eine sehr zynische Wirkung. Ich selbst habe den Ausdruck früher manchmal selbst verwendet, da ich dachte, es sei ein normales Sprichwort.
Das Eingangstor zum Hauptlager
Die erste Nacht war eine typische Klassenfahrtnacht. Am Abend saßen wir fast alle zusammen und spielten Karten oder Tischkicker. Dies sollte im weiteren Verlauf der Fahrt zu unseren beliebtesten Hobbys werden. Die Stimmung war locker und gut, anders als ich es erwartet hatte. Viele Leute hatten mir erzählt, wie schlimm sie die erste Nacht gefunden hatten und dass sie einfach nur noch weg von diesem Ort wollten. Dadurch war ich ein wenig abgeschreckt worden. Bei uns war es jedoch anders. Vielleicht lag es daran, dass wir immer mal wieder während des Rundgangs und des Abends darüber geredet hatten, wie wir den Tag empfunden hatten.
Am zweiten Tag ging unsere Führung zügig los. Dieser Tag hatte seinen Schwerpunkt auf dem Hauptlager. Jedoch galt unser erster Besuch dem Steinbruch. Hier haben früher die Häftlinge unter schrecklichen Bedingungen schwerste Arbeit geleistet. Wir haben uns Fotos angeschaut, wie es damals aussah und es verschlug mir die Sprache. Immer wieder schaute ich mich um. Wir standen in einer riesigen Einkerbung inmitten von grünem Gras, Bäumen und heranwachsenden Blumen. Dazu zwitscherten die Vögel fröhlich. Die Bilder zeigten dagegen eine verschlammte Kuhle mit Geräten zum Arbeiten und Menschen, die in dieser verdreckten Umgebung arbeiteten. In ihrem Ausdruck lag kein Leben mehr, sondern nur noch Qual. Ich fühlte mich eingeengt von diesem Ort als verschlucke er einen gleich mit sich, so wie er es mit tausend anderen Menschen getan hatte.
Schülerzeichnung des Steinbruchs
Unser Weg führte uns anschließend wieder zum Eingangstor des Hauptlagers. Hier führte eine Nebentür zu den sogenannten Arrestzellen, manchmal auch Bunker genannt. Ein Blick hinein und ich wusste, dass dieses Bild für immer in meinem Kopf bleiben würde. Ein langer Gang, wo sich ca. 30 Arrestzellen auf kleinsten Raum befanden. Eine Zelle hatte eine Länge von zwei und eine Breite von einem Meter. Dazu eine kleine Lucke, wodurch man auf den Gang schauen konnte. Es sah aus wie ein Stall, in dem man Tiere mästet.
Es wurde nicht besser, als wir das Lager betraten. Eine riesige Fläche, wo heute kaum noch was steht. Damals standen hier die Kasernen der Häftlinge, jedoch sind diese nicht mehr erhalten. Rechts davon lag das Krematorium, wo wir hingingen.
Das Krematorium vom Wachturm herunter fotografiert
Hier wurden die Leichen der Häftlinge verbrannt. Als Erstes betraten wir einen Raum, in dem die Leichen damals seziert wurden. Der Raum sah so aus, als sei er gestern erst verlassen worden. Dort, wo die Leichen verbrannt und anschließend hingebracht wurden, verfolgte mich ein Geruch, als lägen sie noch da. Ich war froh, als ich aus dem Krematorium raus war und in diesem Moment wurde mir auf einmal klar, wo ich mich befand. Die ganzen schrecklichen Methoden, die die Wärter angewendet hatten und die ganzen Orte, die ich gesehen hatte, wurden mir auf einmal bewusst. Zu dem Zeitpunkt war die Stimmung bei den meisten sehr bedrückt und es belastete uns sehr. Immer wieder kam in unserer Gruppe auf, wie die Menschen mit ihren eigenen Taten leben konnten und wie sich ein so unmenschliches Verhalten in einer Gesellschaft ausbreiten kann.
1945 fehlte Brennmaterial zum Verbrennen der Leichen. Die Kränze wurden nach der Befreiung des Lagers aufgehängt.
In den nächsten Tagen sollten wir in Arbeitsgruppen uns näher mit einzelnen Personen, Personengruppen oder auch speziellen Orten beschäftigen. Meine Gruppe und ich haben uns für das kleine Lager entschieden. Dies deshalb, da wir bisher über den Ort kaum gesprochen hatten, er jedoch als „qualvollster“ von allen galt. Für uns war dies kaum vorstellbar, nachdem, was wir gesehen und erfahren hatten. Zunächst schnappten wir uns eine Mappe, wo wir Informationen zu dem kleinen Lager vorfanden sowie Tagebucheinträge und Berichte von ehemaligen Häftlingen des kleinen Lagers. Wir brauchten eine kurze Zeit, bis wir den richtigen Ort gefunden hatten, da fast nichts mehr erhalten geblieben war. Er ähnelte einer Grasfläche mit Bäumen. Es kam uns viel größer vor, als wir es uns vorgestellt hatten. Kurz darauf begannen wir verschiedene Berichte von ehemaligen Häftlingen zu lesen und in das Thema tiefer einzutauchen. Dabei hat uns alle wohl am meisten geschockt, wie egal es den Menschen dort irgendwann war, was mit ihnen oder anderen geschah. Viele Berichte erzählten, dass Menschen täglich einfach umfielen und dort liegen gelassen wurden. Es gehörte für sie zur Tagesordnung. In dem kleinen Lager galt es nicht mehr zu überleben, sondern dahinzuleben ohne Sinn und Zuversicht.
Das Denkmal an der Stelle des sog. Kleinen Lagers
Am Donnerstagabend fuhr unser gesamter Kurs nach Weimar. Hier machten wir eine kleine Städtetour, von Frau Schwartze angeleitet, und hatten anschließend bis 22 Uhr Freizeit. Dies nutzten die meisten, um durch die Stadt zu schlendern oder in einem Restaurant etwas Leckeres zu essen. Die Stimmung war sehr gut und wir genossen alle unsere doch recht kurze freie Zeit.
Vor dem Nationaltheater in Weimar
Freitagmorgens machten wir eine Gesamtauswertung der einzelnen Gruppen. Jeder hatte sich mit verschiedenen Themenbereichen beschäftigt. Ob einzelne Personen und ihr Leben vor und nach Buchenwald oder Zeichnungen zu einzelnen Orten – jeder hatte eine andere Ausdrucksform gewählt, um die eigenen Gefühle zu dem Ort beziehungsweise die Stimmung des Ortes wiederzugeben.
Es war interessant zu hören, mit was sich die anderen beschäftigt hatten und man hatte ein gutes Gesamtbild von der damaligen Zeit bekommen. Besonders hilfreich waren die Berichte von Ehemaligen, da sie ihre ganz persönliche Sichtweise zu den Geschehnissen zeigten.
Kurz darauf war auch schon der Zeitpunkt unserer Abreise gekommen. Wir nahmen unser Gepäck, verabschiedeten uns von Buchenwald und stiegen in den Bus.
Abschließend lässt sich sagen, dass ich eine tolle Projektfahrt hatte. Wir haben sehr intensiv über mehrere Tage verteilt gearbeitet, eine uns bis dahin unbekannte Zeit kennengelernt, Berichte über unvorstellbares Leid gesehen und hatten durch den Klassenverband trotzdem eine schöne Zeit mit unseren Freunden. Ich war schon vorher der Meinung, dass man sich mit einem solchen Ort und den Geschehnissen beschäftigen und konfrontieren muss. Schlussendlich habe ich sehr viele Erfahrungen gesammelt und neue Erkenntnisse gewonnen.
Die Zeichnung einer Schülerin mit einem Zitat von Victor Klemperer: „Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht.“ Von 1937 bis 1945 waren insgesamt 280.000 Menschen aus über 50 Nationen in Buchenwald inhaftiert. Etwa 56.000 Menschen kamen ums Leben.
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